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Halbzeit! Ein Rückblick

Ich schrieb diesen Rückblick zuerst als Rundmail an meine Unterstützer. Ich möchte ihn aber keinem vorenthalten, der diese Mail nicht erhalten hat. Daher veröffentliche ich ihn hier unverändert.

Liebe Unterstützerinnen und Unterstützer,

ungefähr ein halbes Jahr bin ich nun im Land der tausend Hügel. Ein Land, auf das ich mich Monate im voraus gefreut habe, das mich in den vergangenen 6 Monaten fasziniert hat wie kein anderes. Ich bin in meinem zweiten Leben als Freiwilliger angekommen, integriert, verwurzelt. Daran, dass ich in 6 Monaten wieder entwurzelt werde, möchte ich nicht denken. Statt dessen möchte ich diese Zeit zu einer machen, an die ich mich den Rest meines Lebens voller Nostalgie erinnern werde; und mich jedes mal freue, zurück zu kommen. Zu sehen was alles neu ist im Land, das schneller an einem Tag voran schreitet, als der Berliner Flughafen in einem Jahr.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, zurück zu blicken. Zu erzählen, was mir so einfällt, wenn ich an bestimmte Augenblicke zurück denke. Chronologisch:

Anreise

Zwölf Stunden saßen wir gespannt im Flugzeug und versuchten uns irgendwie die Zeit zu vertreiben. Wir alle freuten uns unglaublich auf Ruanda. Kurz nach Mitternacht stiegen wir aus der kleinen Boeing, die uns von Istanbul nach Kigali brachte. Uns kam ein warmer Schwall verbrauchter Flughafenluft entgegen. Nicht gerade die beste Begrüßung, doch ich war einfach nur glücklich, endlich angekommen zu sein, nachdem ich über ein Jahr auf jenen Moment hingefiebert habe.

Die ersten Tage

Es war wirklich aufregend! Alles war neu und unbekannt. Ich hatte die ersten beiden Tage nicht mal eine SIM-Karte und somit auch kein Internet; was haben sich meine Eltern wohl Sorgen gemacht. Ich musste herausfinden, wo ich Essen am Markt bekomme, lernen zu feilschen, meinen Prepaid Stromzähler aufzuladen, von Hand zu waschen und so vieles mehr. Es war schon anstrengend, doch ich wurde sehr gut von der Partnerorganisation unterstützt.

Anfang an der Schule

Das war wohl am schwierigsten. Als unausgebildeter Lehrer in den laufenden Schultag reinzuplatzen und Halt finden; ich würde sagen, das hat bis diese Woche gedauert. Nicht ohne Grund ist es üblich, das man erst nach dem Zwischenseminar ein eigenes Projekt beginnt.

Das Visum

Man, das war was. Wie beinahe alle Freiwilligen haben auch wir unser „Visaballett“ gehabt (danke für den schönen Euphemismus an meinen Vorfreiwilligen Gregor). Mindestens 5 mal bin ich Kigali hin und zurück gefahren, meine Mitfreiwillige sogar noch öfter; bei ihr hat man einen Fehler gemacht. Der Gipfel des emotionalen Visaalptraums war wohl der Tag, an dem ich über ein verlängertes Wochenende nach Kenia fahren wollte, ich meinen Pass aber noch nicht hatte. 2 Stunden bevor mein bereits gebuchter Bus abfahren sollte, wurde mir dieser endlich ausgehändigt, mit Visum!

Zwangsumzug

Weil es in der Vergangenheit immer wieder zu Problemen mit den angemieteten Häusern kam, hat der Schulträger (PO APARUDE) das Haus vom Accountant der Schule abgekauft und uns darin fortan wohnen lassen. Da diese Prozedur von einigen Missinformationen und Lügen seitens der PO begleitet wurde, habe ich mit einigem Widerstand gewehrt, bis ich schließlich über die Zwangsmaßnahme ordentlich informiert wurde. Ich gewöhnte mich jedoch relativ schnell an das neue Haus und mein Alltag lief weiter wie gewohnt.

Kibuye

Bis zu diesem Zeitpunkt war ich fast ausschließlich in Ruhango, nur zwischendurch mal in Kigali oder Muhanga. Wirklich was von Ruanda gesehen, hatte ich leider noch nicht. Ich nahm mir unter der Woche frei, um mit meiner Freundin Urlaub am Kivusee in Kibuye zu machen. Das war eine wunderschöne Woche und Kibuye gehört nun definitiv zu meinen Lieblingsorten. Trivia: In genau dieser Stadt wird auch mein Zwischenseminar Ende Februar stattfinden.

Schulferien

Bei zwei Monaten Urlaub stand viel auf dem Programm. Nationalparks, wandern, Freundin besuchen, Feriencamp (Schulveranstaltung), einen 4127m hohen Vulkan mit viel Mühe und (Atem-)Not besteigen. Ich habe sehr viel gesehen, sehr viel Erlebt und sehr viel gelernt. Gelernt über das Land, die Leute und auch mich selbst. Beim Vulkan und meiner dreitägigen Wanderung (60km) am Kivusee habe ich mich selbst übertroffen. Ich wusste nicht, ob ich es schaffen würde, sondern habe es einfach mal versucht, mit Erfolg.

Das waren so die „großen Ereignisse“. Aber es gibt noch mehr, dass mit der Zeit passiert ist, nicht von Heute auf Morgen

Sozial Fuß fassen

Abgesehen von meiner Nachbarin im ersten Haus und einem Freund meines Vorfreiwilligen, hatte ich außerschulisch wenig soziale Kontakte am Anfang. Selbst jedoch weitere Kontakte zu knüpfen, das hat gedauert. Oberflächlich ist es sehr einfach hier Freunde zu finden. Man muss sich aber im klaren sein, wer nur weiße Haut in der Freundschaft haben will, oder wer nach materiellen Vorteilen sucht. Bis man das sicher erkennt, dauert es länger, als man glaubt. Nun bin ich endlich an dem Punkt angelangt, an dem ich glaube, ehrliche Freundschaften zu führen.

Integration im Unterricht

Wer nicht fragt, bekommt keine Arbeit. So ist das als Freiwilliger am College Bethel. Da man keine Lehrer ersetzt, sondern nur als „Anhängsel“ assistiert. Immer wieder nachzufragen und nach Arbeit zu suchen, das habe ich mich am Anfang noch nicht so richtig getraut. Oder in andere Fächer zu wechseln, wenn ich an einem nicht mitwirken konnte. Mittlerweile klappt das aber sehr gut.

Alleine klarkommen

Es ist nicht mehr so, dass ich für alles meinen Ansprechpartner fragen müsste. Wenn ich etwas brauche, frage ich mich durch, bis ich mein Ziel erreicht habe – generell. Auch die Tatsache, dass meine Mitfreiwillige abgebrochen hat, stellt keinerlei Belastung dar. Ich bin zu 100% selbstständig und führe mein Leben unabhängig; ich bin frei, so soll es sein.

Außerdem:

Nachfolger gesucht!

Leider hat sich bisher keiner für das Ruhangoprojekt gemeldet, d.h. nach mir wäre ein Jahr lang kein Freiwilliger hier. Das wäre wirklich schade.

Daher: solltet ihr jemanden kennen, der Interesse haben könnte, gebt ihm oder ihr meine E-Mail Adresse, wir besprechen dann das Weitere. Der Freiwilligendienst kostet beinahe nichts. Seminare, Verpflegung, Taschengeld, Flug und Unterkunft, alles wird vom BMZ bzw. Friends of Ruanda (an die einige von euch gespendet haben, was wiederum mir zu gute kam) finanziert (bis auf Behördengänge, Übersetzungen und Impfung). Wer einen Freiwilligendienst wie diesen macht, lernt was für sein Leben und wird es nicht vergessen. Es macht sich gut im Lebenslauf und ist eine gute „Pause“ zwischen Abitur und Studium. Einzige Voraussetzungen: mindestens 18 Jahre alt bei Ausreise (August ’18), Abitur oder abgeschlossene Berufsausbildung und eine deutsche Staatsbürgerschaft oder dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung.

Mehr Informationen dazu auf http://weltwaerts.de, http://friends-of-ruanda.org und auf meinem Blog http://martin-weber.name.

Wichtig: ich schreibe hier nicht über einen Problemloses Jahr Urlaub. Freiwilligendienst heißt Lerndienst. Probleme sind gut, daraus lernt man ja. Man darf nur keine Angst haben, sich diesen zu stellen.

Schließlich möchte ich mich bei allen Unterstützern bedanken! Auch denen, die nichts gespendet haben, sondern einfach nur Interesse gezeigt oder nette E-Mails geschickt haben, ihr seid klasse!

Liebe Grüße,

Martin

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