Ich habe mir zu Ohren kommen lassen, dass es wohl doch einige gab, die sich gefragt haben, was denn mit meinem Blog geschehen ist und ob alles in Ordnung ist. Ja, es ist alles bestens! Und es freut mich sehr, dass es nach 10 Monaten immernoch aktive Leser meines Blogs gibt.
Nun, es ist erneut viel Zeit vergangen und ich nähere mich dem Ende meines Freiwilligendienstes. Manchmal, vor allem wenn ich Bus fahre, schaue ich einfach aus dem Fenster in die Landschaft und denke daran, was für eine schöne Zeit ich hier habe, wie sehr ich Ruanda liebe und wie wenig Zeit mir nur noch bleibt. Manchmal sitze ich abends einsam allein Zuhause und vermisse meine Freunde, Familie, Gewohnheiten, das Essen.
Auch wenn ich mittlerweile einige Freunde hier habe (vorwiegend Ruander) und sehr stolz darauf bin, so ist es mir noch immer nicht gelungen eine dauerhafte Freundschaft in Ruhango oder wenigstens in der Nähe aufzubauen (von Kollegen abgesehen). Oft scheitert es an der Sprachbarriere. Diese Barriere sowie viele andere gibt es in der Hauptstadt Kigali oder anderen Zentren deutlich weniger ausgeprägt. Man merkt die Internationalität dort sehr deutlich.
Ich traf letztes Wochenende eine Uganderin, die in Nyanza eine Schule für Rechtspraxis besucht. Sie ist allerdings nicht allein, sondern zusammen mit einer Gruppe anderer Ugander, hat hier bereits vier Monate verbracht. Wir redeten über soziale Kontakte mit Ruandern und ich hätte erwartet, dass es ihr um einiges leichter fallen würde als mir, sich hier zu integrieren. Schließlich ist Uganda ein Nachbarland und kulturell deutlich näher an Ruanda als Deutschland. Dazu kam es aber garnicht erst. Ich bekam den Eindruck, dass sie durch ihre ugandischen Freunde etwas in einer sozialen Blase steckt. Ursprünglich kam sie auch hierher um ihren „Horizont zu erweitern“ und mal mehr zu sehen als ihre Landeshauptstadt, Kampala.
Ich glaube es ist aber wirklich schwierig ein Land kennenzulernen, wenn man an der sozialen Nabelschnur der Heimat hängt. So gibt es an ihrer Schule auch Schüler aus Ghana und Kamerun, jeweils ebenfalls in ihrer Clique. Wenn ich mir jetzt vorstelle, ich hätte die Entscheidung getroffen in Kigali zu arbeiten wo es zig Deutsche gibt, wäre ich wirklich „hier“ oder immernoch mit einem Fuß in der Heimat? Hätte ich einen so tiefen Einblick in dieses Land bekommen? Hätte ich mich nicht aus Bequemlichkeit doch im gleichen Kulturkreis bewegt? Hätte ich jemals gesehen wie Ruanda auf dem Land aussieht? Ich glaube, ich hätte deutlich weniger Profit aus diesem Jahr gezogen und ich bin froh in Ruhango zu sein.
Was Liebe ich so an diesem Land, warum gerade Ruanda? Die Ruander sind ein sehr besonderes, ruhiges, besonnenes, sorgloses und übermäßig freundliches Volk. Das merkt man schon daran, dass die meisten vergleichsweise leise reden, Kritik wenn überhaupt nur vorsichtig äußern und versuchen selbst mit den verhasstesten Mitmenschen gut umzugehen. Erklären lässt sich das u.a. mit dem Völkermord und der aktuellen Politik. Durch den Völkermord 1994 sind viele Menschen traumatisiert, manche haben noch immer den selben Nachbar, der damals die ganze Familie vernichtet hat, aus Mangel finanzieller Mittel umzuziehen. Die Regierung fährt eine Versöhnungspolitik in der kein Konflikt offen ausgetragen wird. Emotionen zu zeigen gilt in Ruanda als Schwäche. Jeder verusucht mit jedem klar zu kommen, besonders nach außen hin. Es gilt den Schein, die Fassade zu wahren. Dahingegen sind Ugander oder Kenianer konfliktbereiter, offener und lauter; sowas wie ein Mittelding zwischen Deutschland und Ruanda. (Gespielte) Sorglosigkeit trifft man übrigens häufig in Ostafrika, nur unterschiedlich stark ausgeprägt. In Kenia sagt man Hakuna Matata (auf Swahili), in Ruanda Nta Kibazo (auf Kinyarwanda), was beides in etwa „kein Problem“ heißt. Es ist sowas wie eine positive Lebenseinstellung.
Dazu kommt, dass Ruanda ein sehr organisierter (Polizei-)Staat ist. Die Regierung reguliert viele Bereiche der Wirtschaft, sorgt für die Tatsächliche Einhaltung von Gesetzen und postiert Polizei und Militär auf den Straßen. Letzteres wird damit gerechtfertigt, dass die Gefahr eine Rückkehr der Rebellen des Völkermords noch immer nicht gebannt ist. Korruption und Kriminalität gehören zu den niedrigsten in Afrika. Nachbar Uganda ist dagegen sowas wie Anarchie (übertrieben ausgedrückt). Ich sehe kaum Aktivität der Regierung, Korruption, Kriminalität und trotzdem wirtschaftliche Stärke, Freiheit und Zufriedenheit bei den Menschen. Einwohner beider Staaten sind zufrieden damit, genau so wie es ist. Es scheint mir, Kriminalität und Korruption sei kein Problem für die meisten Ugander, so lange sie frei bleiben. Dagegen sind die Ruander froh in Sicherheit zu leben, auch wenn sie dafür rund um die Uhr überwacht werden.
Dann spricht für Ruanda noch das wunderbare Klima. 365 Tage Frühling im Jahr (von der Temperatur ausgehend). Es ist selten zu kalt oder zu heiß. Regen ist selbst in der Regenzeit kein Dauerphänomen. Auch wenn es täglich regnet, so regnet es meist nur ein paar Stunden am Tag (dann aber richtig).
Was mich in Ruanda stört sind die übertriebenen Hierarchien. Ob in der Familie, in der Schule, im Job oder auch auf offener Straße, überall gibt es starke Hierarchien, in der der „Höhere“ unantastbar ist. Leider werde ich trotz meinem einfachen Auftretens von „unten herauf“ angesprochen, in jene Hierarchie auf irgendeine höhere Ebene gesetzt. Außerdem ist es sehr schade, dass den Ruandern bewusst das eigene Denken abtrainiert wird. Von der Regierung wie auch durch die Kirchen. Wissen und Meinungen werden selten in Frage gestellt, was ernsthafte Gespräche ermüdend oder gar unmöglich macht.
Deutschland ist ein extremer Kontrast zu Ruanda. Es hat Monate gedauert, bis ich es geschafft habe mein Verhalten einigermaßen der hiesigen Kultur anzupassen. Sowas selbstverständliches wie Schadenfreude ist in Ruanda zum Beispiel ein No-Go, was ich mir nur schwer abgewöhnen konnte. Ich will hier aber garnicht auf jeden Aspekt eingehen, dafür ist Kultur viel zu subjektiv und schwer zu fassen.
Nun habe ich in diesen beiden Ländern ein Zuhause mit einem sozialen Umfeld, das es zu pflegen gilt. Ich werde mehrere Wochen, vielleicht sogar Monate brauchen, um in Deutschland wieder klar zu kommen. Mitunter das schlimmste wird sein, das mich trotz all meinen Erzählungen keiner richtig verstehen wird.
Ich habe mich bewusst auf ein Abenteuer, auf Probleme und Herausforderungen eingelassen und keine Sekunde bereut. Dieser Freiwilligendienst ist ein langersehnter Traum, der mir nur durch mein oben noch verfluchtes Heimatland und viele großzügige Unterstützer ermöglicht wurde; ich bin unendlich Dankbar.